Die Unfallstatistik UVG 2005 ist erschienen
Ausweitung der Leistungspflicht verteuert Unfallkosten
Die Zahl der Berufsunfälle und Berufskrankheiten nimmt laufend ab, während die Zahl der Freizeitunfälle
auf hohem Niveau langfristig gesehen relativ stabil bleibt. Die Kosten der Unfallversicherung zeigen eine
wesentlich ungünstigere Entwicklung als die Fallzahlen. Kosten treibend wirken nicht nur die
Bevölkerungsentwicklung und wirtschaftliche Rezessionen, sondern auch die Ausweitung der Haftung der
Unfallversicherer.
Die Zahl der Berufsunfälle und Berufskrankheiten ist dem langjährigen Trend folgend auch 2003 weiter auf
noch 71 Fälle je 1000 Beschäftigte gesunken (Grafik 1). Das Unfallrisiko in der Freizeit ist schon seit
vielen Jahren deutlich höher als jenes im Beruf und hat 2003, bedingt durch die guten Schneeverhältnisse
und den ausserordentlich schönen Sommer, einen vorübergehenden Höchststand von 137 Fällen je 1000 Beschäftigte
erreicht.
Die Kosten in der Berufsunfallversicherung sind im Verlauf der letzten 15 Jahre trotz dem
kontinuierlichen Rückgang der Fallhäufigkeit von 0,60 auf 0,65 Prozent der versicherten Lohnsumme angestiegen,
die Kosten der Freizeitunfälle sind gar von 1,00 auf 1,25 Prozent der Lohnsumme gestiegen (Grafik 2). Das ergibt
für das Jahr 2003 und die beiden Versicherungszweige zusammengerechnet durchschnittliche Kosten pro Versicherten
von 1’226 Franken.
Offensichtlich besteht kein einfacher Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Kosten. Rezessionsphasen wie anfangs
der 90er-Jahre und dann wieder ab dem Jahr 2000 führen zu zyklisch erhöhten Unfallkosten, weil eine schlechte
Wirtschaftslage und der zunehmende Wettbewerb die Bereitschaft der Arbeitgeber senken, Verunfallte bzw.
Behinderte weiter-zubeschäftigen oder neu anzustellen. Die demografische Entwicklung hat ebenfalls Kosten
erhöhend gewirkt. Das Durchschnittsalter der Verunfallten hat sich erhöht. Mit dem Alter verlängern sich
die Rekonvaleszenzzeiten und das Risiko einer Invalidisierung ist erhöht, was zu höheren Taggeld- und Rentenkosten
führt. Die zunehmende Lebenserwartung der UVG-Rentnerinnen und Rentner erfordert zudem eine höhere Kapitalisierung
der Renten.
Einfluss der Rechtssprechung
Einen wesentlichen, aber schwer fassbaren Einfluss hat auch der gesellschaftliche und sozialpolitische Wandel.
So hat unter anderem die Rechtsprechung die Haftung der Unfallversicherer laufend ausgeweitet. Eine Untersuchung
der unfallbedingt auftretenden Verletzungsbilder über einen längeren Zeitraum zeigt, dass zwei Verletzungsgruppen,
deren Beurteilung durch die Rechtsprechung geändert hat, die Kostenentwicklung der letzten 15 Jahre massgeblich
mitgeprägt haben. Es handelt sich zum einen um die Distorsionen und Schleudertraumen der Halswirbelsäule (HWS)
und zum andern um Verstauchungen und Sehnen- und Muskelrisse im Bereich Schulter/Oberarm (Grafik 3).
Die Zahl der HWS-Schleudertraumen und der Verletzungen im Bereich des Schultergelenks haben unter den
Freizeitunfällen von 1988 bis 2003 von 2,2 auf 5,8 Prozent aller Fälle zugenommen, ihr Anteil an den
Gesamtkosten der Nichtberufsunfallversicherung hat sich im gleichen Zeitraum von knapp 4 auf 19 Prozent erhöht.
Das sind fast 500 Mio. Franken. Wäre der Kostenanteil dieser beiden Verletzungsgruppen auf dem Stand von 1988
verblieben, so wären die Kosten der Freizeitunfälle, wie Grafik 3 zeigt, ungefähr den Wirtschaftszyklen gefolgt
und auch 2003 noch unter den Spitzenwerten der Jahre 1992 und 1993 geblieben. In der Berufsunfallversicherung
hätten die Kosten gemessen an der Lohnsumme in den letzten 15 Jahren sogar um rund 6 Prozent abgenommen.
Seit einer Praxisänderung des EVG im Jahr 1991, welche die Leistungspflicht bei unspezifischen, organisch
nicht objektivierbaren Beschwerden erheblich ausdehnte, ist eine Zunahme von länger dauernden Beschwerden
selbst nach leichten HWS-Schleudertraumen und Kopfverletzungen festzustellen. Medizinisch nicht erklärbar ist
auch, dass in der Deutschschweiz deutlich häufiger Renten in Folge von Schleudertraumen gesprochen werden als
in der Romandie und im Tessin. Eine neue statistische Analyse der Suva aus dem Jahr 2004 an rund 2000 Fällen
mit biomechanischem Gutachten zeigt zudem, dass bei den Fällen, die bereits fünf Wochen Arbeitsunfähigkeit
erreicht haben, die Schwere des ursprünglichen Ereignisses ohne Einfluss auf die Genesungszeit ist.
Unter den Verstauchungen und Sehnenrissen im Bereich Schulter/Oberarm dominieren die sogenannten
Rotatorenmanschettenrupturen. Die von diesen Verletzungen Betroffenen sind im Durchschnitt 45 bis 50 Jahre
alt. Bei Versicherten dieses Alters finden sich häufig vorbestehende Schädigungen in Form von
Degenerationserscheinungen, welche die Verletzung der entsprechenden Muskeln und Bindegewebe bei Unfällen
begünstigen. Nach der jüngeren Rechtssprechung des EVG haben die Unfallversicherer nun auch bei degenerativ
bedingten Körperschädigungen Leistungen selbst in Fällen zu erbringen, welche die Unfalldefinition nicht
vollständig erfüllen (unfallähnliche Ereignisse). Die gleiche Praxis gilt sinngemäss auch bei anderen
vorbestehenden degenerativen Schädigungen, beispielsweise des Meniskus.
Die Zahl der Rotatorenmanschettenrupturen und Meniskusrisse haben in den letzten Jahren stark zugenommen.
Insbesondere die Rotatorenmanschettenrupturen erfordern eine lange Rehabilitationszeit und sind entsprechend
teuer. Bei beiden Verletzungsgruppen ist zudem mit Spätfolgen wie Arthrosen zu rechnen. Welche weiteren Kosten
mit entsprechend langer Verzögerung noch anfallen werden, ist deshalb noch nicht abzusehen.
3,5 Millionen Vollbeschäftigte, 211 Milliarden Franken Lohn
Gemäss Statistik der 39 Schweizer Unfallversicherer waren im Jahr 2003 3,5 Millionen Vollbeschäftigte mit
einer Lohnsumme von 211 Milliarden Franken obligatorisch gegen Unfälle und Berufskrankheiten versichert.
Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der Versicherten um 0,7 Prozent, während die versicherte Lohnsumme
um 0,4 Prozent zunahm. Die Nettoprämien nahmen um 2,6 Prozent auf 4,2 Milliarden Franken zu, während sich die
Zahl der neu registrierten Fälle um 2,1 Prozent auf 751’000 erhöhte. Die Kosten für Unfälle nahmen um 5,6 Prozent
auf 4,4 Milliarden Franken zu. Die Zahl der neu registrierten Fälle von Stellen suchenden Personen nahm um
50 Prozent zu, die versicherten Arbeitslosentaggelder um 52 Prozent.